Wolfgang Kohl hat lehrend seinen Bezug zu Menschen, Material und Praxis fortwährend weiterentwickelt und seit 2015 wieder intensiv an die Arbeit mit Holzskulpturen angeknüpft. Seine Arbeiten sind figürlich und gegenständlich, wobei er sich schon früh aufgrund seines Interesses am Thema Mensch für einen Realismus entschieden hatte, der nicht im zeitgenössischen Fokus stand und sich erst gegen die Abstraktion wieder durchsetzen musste. So war ein gewisser hartnäckiger Widerstand und persönliche Überzeugung für diese Stillage nötig, wie seinerzeit ebenfalls bei Vertretern der Malerei, die auch immer mal wieder von Leitmedien und Kunstkritik totgesagt wird.
Einerseits ist verständlicherweise die Abstraktion nach der Erfahrung zweier diktatorischer Systeme eine Bildsprache, die international und selten propagandistisch nutzbar ist, während der Realismus mit Pathosformeln diesbezüglich missbraucht wurde. Andererseits werden dadurch Ausdrucksmöglichkeiten eingeengt, die sich mit dem bedrängten einzelnen Menschen und seiner gesellschaftlichen Situation nachempfindbar auseinandersetzen. Für den Betrachter bietet die realistische Bildsprache einen direkten, unmittelbaren Zugang ohne den interpretatorischen Spielraum einzuengen.
Das tut auch Wolfgang Kohl in seinem Medium Holz durch eine gezielte mitunter auch zeichenhaft rohe Gestaltung, die nicht auf Hochglanz und Illusionismus aus ist, sondern dem Material eine atmosphärische, eindringliche Nähe und zugleich distanzierte Nüchternheit abgewinnt. So sieht man sich als Betrachter nie konkret mit einem spezifischen Vorfall oder mit einer auf ein konkretes Individuum Bezug nehmende Thematik konfrontiert, was die Intensität und Tiefe der Auseinandersetzung erhöht. Die Formwelt betont den allgemeinen Charakter und bildet die Analyse in der bildhauerischen Umsetzung sinnlich ab.
So nimmt z.B. das einbaumartige Boot mit seinen Insassen aktuell Bezug auf die Flüchtlingssituation im Mittelmeer, betrifft aber grundsätzlich ähnliche Vorgänge mindestens seit den Boatpeople in Vietnam. Scheinbar sitzen wir alle in einem Boot lautet der allgemeinmenschliche Anwurf des Werkes, der durch eine Fehlstelle in der Reihe der Insassen möchte, dass wir uns in die Situation der Flüchtenden hineinversetzen. Diese sind in verschiedenen Grundformen ohne Merkmale von Geschlecht oder Herkunft schematisiert. In Holzsträngen gesägt, in Scheiben geschnitten, bilden die in das Einbaumgebilde gesetzten Körper mit ihren gestreckten Armen betonte Gesten, die mit erhobenen Händen nicht eindeutig Entsetzen oder Freude über eine mögliche Rettung aus einer bedrohlichen Situation bedeuten. Die Entscheidung überlässt der Künstler dem Betrachter.
Das Boot hat auch noch etwas von einer Galeere, weil seitlich ruderhaft Reihen von Stangen auskragen mit denen man aber vermutlich kaum voran kommt, was die Ungewissheit der Lage verdeutlicht.
Es erhebt sich manche Frage: Will man die Menschen ertrinken lassen oder retten oder überhaupt ihre Fluchtbemühung wahrnehmen, in der sich Verzweiflung aber auch Mut und eine unbändige Lebensenergie ausdrücken, die nach individueller Freiheit strebt. Die Frage: wie fühlt man sich als jemand, der keinen anderen Ausweg sieht, als seine Heimat zu verlassen, lässt die Lücke im Boot offen.
Anonymisiert sind die Bootsinsassen weniger noch als Nummern. Aus dem Blickwinkel der Schleuser und der Verwaltungsbürokratie, für die Einen schnelles Geld für die Anderen lästiger zusätzlicher Arbeitsaufwand und Kostenträger.
Die beiden Hände, die zum Himmel ragen, Verletzlichkeit zeigen und eine Geste der Anklage sind, summieren Leid in ähnlich reduzierter Formsprache auf ein schlüssiges Detail des Menschen, das in kultureller Überlieferung entsprechend lesbar ist. Der Sockel hebt sie hervor.
Es geht Wolfgang Kohl nicht um Detailrealismus, sondern um die grobe sinnliche Form und nachvollziehbare Erlebbarkeit der Situation. Bei aller unpolierten Rohheit sind dennoch die Oberflächenwirkung der Werkzeugspuren, die Farbigkeit und die Konturverläufe gezielt einbezogen.
Das Flüchtlingsthema ist ein weiteres Mal aufgegriffen in der am Boden an der Wand lehnenden, sitzenden Figur, die mit dem in den Händen gehaltenen Schlauchboot für das abwägende Europa stehen könnte, das apathisch und unschlüssig zögert, unfähig zu gemeinsamem Handeln. Die Gestalt zeigt einen riesenhaften Menschen, der auf die kleinen Insassen in dem Boot guckt, ratlos wie er sich verhalten soll. Das ist wiederum in der Gestaltfindung ein Offenlassen der Situation, eine Konstatierung, kein Handlungsappell. Als Kommentar wird dennoch über die Skulptur deutlich sichtbar der Finger in die Wunde gelegt und nichts beschönigt, Handlungsbedarf in einer unhaltbaren Gegebenheit anvisiert, aber nicht vorgegeben, wie man zu denken hat. Der künstlerische Aufwand macht deutlich, dass es sich für den Künstler um eine bedeutsame und krisenhafte Situation handelt, in der Menschen sich befinden und wo es eben um menschliches Miteinander und existenzielles Überleben geht.
Von diesen politisch-gesellschaftlichen Implikationen ist dann eine neue, eher klassisch bildhauerische Serie ausgegangen. Ein Environment von 2015 zeigt einen Ertrinkenden aus Holz auf meeresblauem Untergrund als Strandgut treibend umringt von Leergut, bzw. von Kästen mit Flaschen. (Zur Konkretisierung der Aussage wurden die Leergutkästen später durch eine benutzte Schwimmweste ersetzt.)
Diese Flaschen aus rindenhaltigem Holz führten zur Analogie mit Gefäßen und Flaschen, wie sie Giorgio Morandi als Aquarelle schuf.
Morandi hat sein Leben lang um Farbnuancen, Räumlichkeit und Licht auf Objekten in Variationen gerungen, indem er circa 20 Gefäße immer wieder arrangierte und malte. Daher, aber zugleich sich wieder von diesem Impuls lösend, stellte sich die Frage, wie sich dies skulptural in Holz umsetzen ließe. Zunächst boten hohe Tische eine Lösung für eine körperhafte räumliche Umsetzung, d.h. nicht in normierter Höhe mit gesenktem Blick auf die Tischfläche blickend, sondern als nahezu wesenhafte Gebilde auf Augenhöhe. Es entstanden die mit Flaschenformen aus Holz versehenen Tisch-Varianten: der Hohe, der Tänzelnde, der mit Viertel-Rinde Beinen oder der mit X-Beinen. Eigentlich sind es keine richtigen Tische, auch wenn sie so geformt sind, dass mit einer gewissen Logik Tischdecken darüber zu liegen scheinen, die an den Kanten aus der Fläche in einen Faltenwurf übergehen, sondern es sind Figuren individueller Prägung.
Das Raue, das Rohe des Kirschholzes ist gelassen, das Wesenhafte, das „Bewegte“ der vielfältigen Beine gibt den Objekten etwas Instabiles oder ‚Ballettöses‘ und darauf sind die Gefäße bildhaft als Stilllebenkörper nebeneinander arrangiert. Die gezielte Anordnung nach groß/klein, schwer/leicht, schräg/aufrecht, nah/distanziert sind die fundamentalen Parameter räumlich plastischer Darstellung.
Vom Holzmaterial sind neben der diffizilen Farbigkeit in der Oberflächenbearbeitung auch die Kettensägenspuren schrundig derb belassen. Das Spiel mit der Inszenierung wird weiter auf die Spitze getrieben: einerseits als klassische Skulptur im Raum mit Tischen wie Gesprächspartnern, andererseits als bildhafte Annäherung an ein gerahmtes Bild. In den „Flaschenbildern“ bildet sich im massiven Rahmen einer Wandarbeit eine kleine Bühne, in der Holzflaschenkörper größendifferenziert stehen, die, wie eine Familie gruppiert, etwas Figuratives bekommen: Frau, Mann und Kind versinnbildlichen könnten.
Wie scheinbar leicht es doch ist, aus einem Gegenstand durch Neigungen und Verschiebungen so etwas wie Gebärdensprache zu entwickeln, die schließlich noch ins Perspektivische gesteigert wird, quasi die Antwort des Bildhauers auf den virtuellen Raum darstellt. Hier ist der Bilderrahmen an der Wand Ausgangspunkt, aus dem ein Tisch surrealistisch verkippt heraussteigt. Das hat zur Folge, den Tisch mit all den verschiedenen Flaschen von schräg oben aus zu sehen, weil er sich so mit Verkürzungen perspektivisch und dynamisch entwickelt.
Auch hier geht es um Werkspuren aber vor allem um Persönlichkeiten und differenzierte Individualität in der Gruppe von Flaschenkörpern. Die hinteren werden kleiner in der räumlichen Erstreckung, scheinbar logisch aus dem mitgedachten optischen Effekt der Perspektive.
Die Radikalität des sehr reduzierten Inventars (nur Flaschen auf Tischen) weist auf Grundsätzliches, auf Raumerfahrung, Illusion und symbolische Assoziationsfähigkeit.
Radikale Reduktion ist sicherlich das richtige Stichwort für das Environment „Tisch im Spiegel“ von 2020.
Wir sehen nicht nur, was wir sehen, sondern wir sehen auch was wir wissen und was zum Repertoire unserer Erfahrungen zählt. Unser Bedürfnis nach Bestätigung bisheriger Seherfahrung und nach Harmonie in Verbindung mit der Fähigkeit Vervollkommnung zu sehen und die einfachste Lösung zu bevorzugen, tut ein Übriges um an der Objektivität unserer Wahrnehmung zu zweifeln. Wir nehmen zwei Objekte als identisch wahr, obwohl sie nur annähernd gleich sind. Wir glauben ein Spiegelbild zu sehen, obwohl es sich um eine Gegenüberstellung nur fast gleicher Gegenstände handelt. Wir sind auch schon an die Illusion gewöhnt. Dafür hilft es, dass der Spiegelrahmen auf einem Sockel steht und Wandhängung imitiert. In der Einfachheit der attraktiven Bildsuggestion wird die Wahrnehmungstäuschung durch Differenzerfahrung beim Näherkommen zum Lehrstück für ein genaues Hingucken.
Und dann wieder zeigt er Menschen, die auf einem Weg sind, im Werk „Unterwegs“ von 2020.
Haben sie ein Ziel vor Augen? Den Wunsch nach einem besseren, freieren, unbedrohtem Leben.
Das Herdenwesen Mensch neigt zur Gemeinschaft, wenn auch in Untergruppen bis zur Familie. Sie verbindet wohl eine gemeinsame Motivation, die stärkt und den individuellen Schicksalen, die ihren Weg suchen, Sicherheit vermittelt. Sie ziehen vorbei an einer undefinierten Architektur in eine ungewisse Zukunft. Nehmen wir Anteil oder sehen wir nur zu? Sehen wir das ganze Bild oder nur einen Ausschnitt wie einen Fensterrahmen von der Rückseite her, der Fernsehbild, endlose Folge von Köpfen unter Ausblendung von Kindern als Ausblick bietet, in der der Zug nur als fortlaufender Strom und eventuell als Bedrängung empfunden wird im Gegensatz zu einer vollen Fußgängerzone in einer Einkaufsmeile. Ein neues gestalterisches Mittel von Wolfgang Kohl gibt ihnen anonyme farbliche Vielfalt und zeichenhafte Alltäglichkeit. Farbige Zeitungspapiere, auf Rohholz geleimt und abgeschliffen vermittelt Spuren von medialer Kultur und Mode.
„Abrüstung“ 2021: Alles ist fragmentarisch an dieser Arbeit, angedeutet und in Baumscheiben und Fragmente zerlegt. Der Rumpf eines Flugkörpers aus einer Reihung schwerer Ringe eines ausgehöhlten Kirschstammes ist verbunden mit den Resten einer Tragfläche. Der Pilot – nur Kopf und Arme sind sichtbar – wirkt verzweifelt ob des Versagens seiner Maschine oder der Sinnlosigkeit seines Tuns. Die Schwerkraft hat seinem Tun ein Ende bereitet. Mehr noch, als nur in einem Kinderkarussell sitzend, ist er wie körperlich mit seinem zerlegten und harmloser Schrott gewordenen Fluggerät verbunden und ebenso nutzlos geworden. In der Abrüstung werden die Qualifikationen eines Soldaten nicht mehr benötigt. Alles ist verstärkend in Schräglage befindlich, unterstützt die Dramatisierung der Situation ebenso wie die grau-schwarze Fassung der skulpturalen Elemente. Eine karikaturhafte Distanz liegt in den letzten Werken, die Gegenbilder zu Propaganda und Täuschung suchen und mit ihren Mitteln für einen wachen Blick plädieren.