Eröffnungsvortrag zur Ausstellung von Jürgen Weichardt
Es gibt einen vorzüglichen Einführungstext zur jüngeren Geschichte der Holz-Skulpturen, und den hat Wolfgang Kohl als Vorwort zum Katalog der Ausstellung M. Rennertz in Düren verfaßt. In diesem Text untersucht W. Kohl die Ursachen, weshalb Holz im 19. Jahrhundert kein angesehenes künstlerisches Material war.
Das Hohe, Hehre, Ewige, die Härte, die industrielle Produktion, die nicht zur Erweiterung der Kunst, sondern zur Beschränkung auf Stein und Bronze geführt haben. Gewiß werden auch die prinzipiell gegen Experimente eingestellten Ideen des Klassizismus und die oft an die Architektur gebundene Bildhauerkunst Gründe für die Ablehnung des Holzes als Material für Kunst gewesen sein. Die radikale Ablehnung dessen, was das 19. Jh. Als ästhetische Ergebnisse gebracht hat, die Beschäftigung mit der Kunst fremder, speziell afrikanischer Kulturen, die leichtere Verwendbarkeit von Holz in Teilen, Schichten, Flächen in neuen Bildkompositionen, mögen Gründe für eine ganz neue Beziehung der jungen Künstler im 1. und 2. Jahrzehnt unseres Jahrhunderts zum Holz gewesen sein. Wolfgang Kohl weist in diesem Zusammenhang auf Picasso und den Kubismus und auf Ernst Barlach als einen der Antipoden hin. Im ersten Falle – wie auch in den Frottagen von Max ernst – ist Holz als Fläche und Strukturelement eingesetzt worden; bei Barlach aber als ein lebendiges Material, Menschenbilder zu schaffen. Es ist auch richtig, daß die weitere Entwicklung, der Auseinandersetzung mit Holz nicht gradlinig verlaufen ist. Einerseits haben gerade die berühmten Bildhauer in Berlin vor 1933 gelegentlich Holz erprobt, sich dann aber der klassischen Bildhauer-Tradition zugewandt – Marcks, Kolbe, Scheibe – zum anderen brachte die völkisch verbrämte Kunst des NS-Staates den Schnitzer in den Vordergrund, schließlich entfernten sich alle Künstler, die dem realistischen Manifest von Gabo und Pevsner direkt oder indirekt folgten, von der traditionell figurativen Form und vom üblich gewordenen Werkstoff. – Glas, Nylon, Transparenz, Raum – wurden gefordert und in der Bewegung „abstraction-creation“ auch verwendet.
Erneut gibt W. Kohl einen richtigen Denkanstoß, wenn er auf die immer größer werdende Entfernung der Nachkriegszeit vom Menschenbild anspielt. Die vielschichtigen Ursachen dafür sind für unsere Ausstellung aber nicht relevant. Wichtiger ist, daß nach einer fast euphorischen Bejahung der Technik in den frühen sechziger Jahren nach einer fast unkritischen Auseinandersetzung mit dem Alltag, in der Pop Art und eigentlich auch fern von einem neuen Realismus manche Bildhauer zum Holz zurückgefunden haben – zuerst, und das scheint logisch nach dem Gesagten, in Form von industrieverwendetem Holz; erst danach folgte die Auseinandersetzung mit dem unverbrauchten Holz. Das in den siebziger Jahren sichtbar gewordene und bis heute ausgeweitete Panorama der Holzbildhauer-Kunst soll hier nur in einigen grundsätzlichen Strukturzügen angezeigt werden, nicht zuletzt, um dabei die Position des vor Ihnen ausgebreiteten Werkes richtig einschätzen zu können. Einen ganz wesentlichen Impuls haben die Veranstaltungen der Galerie Falazik in Neuenkirchen gegeben – Natur und Kunst als gemeinsamer Nenner – zwangläufige Beschäftigung mit Holz als natürliches Material. HAWOLI – der vom Baumstamm ausgegangen ist und das Kuriose – Spirale, Drehung, Täuschung – zunächst in den Vordergrund gestellt hat; dann aber Holz und Stein in zahlreichen Arbeiten konfrontierte. Holz war ihm eigentlich im relativ rohen, unbehauenen Zustand wichtiger conceptualer Teil seiner Kompositionen. Eine andere Rolle spielt J. Meyer-Rogge, der im Zusammenhang mit dem Thema zunächst Birkenpyramiden errichtet, später Räume geschaffen hat, die von einem Einzelnen aufgeschnittenen Baum in Form von großen Brettern bestimmt wurden. Concept und reale Verwandlung sind hier eine Verbindung eingegangen. Eine dritte Position hat damals Hans-Jörg Voth eingenommen, der in dem Beitrag zu „Plätze der Macht, Orte der Kraft“ eine mythisch wirkende Kreisstätte mit dreizehn Pfählen errichtet hatte. Diese, acht Meter hoch, dienten ihm als Holz, als Material, das der mythischen Situation am nächsten war. Die Pfähle waren von schwarzen Tüchern umkleidet, wodurch der Eindruck intensiviert wurde, sodaß der Platz der Macht auch ein Platz der Angst war. Nach einer Woche haben Unbekannte diese Angst nicht mehr ausgehalten und das Objekt zerstört. Am Ende des vorigen Jahrhunderts haben sich die Holzbildhauer in verschiedenen Symposien getroffen und dabei die Vielfalt des Materials offen gelegt. Am Symposion 1979 in Freiburg, vielleicht die bekannteste dieser Veranstaltungen, war W. Kohl schon beteiligt. Seit 1979 ist das Spektrum der Holzbildhauerkunst noch reicher geworden. Ich brauche zum Beleg nur aufzuzählen, was mir in diesem Jahr schon begegnet ist:
- Max Sauk in der Gruppe PLASMA
- Werner Pokorny im Deutschen Künstlerbund
- Victoria Bell, Stadtkünstlerin in Wilhelmshaven
- die Holzbildhauer-Ausstellung und
- das Holzbildhauersymposion in Oldenburg mit Uwe Apphold, Paul Lankes, Siegfried Pietrusky und in der Ausstellung Stanislaw Kulon, Warschau
- Stefan Papp, Krakau
- Baselitz in Wien
- Rennertz in Bremen
- und nun Wolfgang Kohl in Hameln.
Hier von einer Mode zu sprechen wäre ungerecht, denn zu lange haben die einzelnen Künstler in diesem Material gearbeitet und Erfahrungen gesammelt. Sie haben im Holz einen Werkstoff erkannt, der vielfältiger reagiert als Stein und unmittelbarer zu bearbeiten ist als Bronze. Das hier ausgestellte Werk von Wolfgang Kohl macht auch deutlich, wie Holz in seiner Oberflächenstruktur eingesetzt werden kann. Entweder geht die Maserung mit der Form konform oder sie widersetzt sich ihr und wird dadurch ein Element der Irritation. Holz kann – wie andere Werkstoffe auch – aufgerissen, rauh, in der Oberfläche verletzt eingesetzt werden, doch im Unterschied zu Bronze und Stein lebt es fort und verändert die Eingriffe; reagiert auf Hitze und Kälte und verlängert dabei den Prozeß des Werdens vielleicht um Jahre. Oder aber Holz kann geglättet und poliert werden; es erreicht aber nicht die spiegelnde Oberfläche einer Brancusi-Bronze, aber seine Haut wird doch in besonderem Maße lichtempfindlich, zuweilen sogar transparent. Dieser materialgerechten Wirkung kommt zugute, daß W. Kohl keine Farben gebraucht, obwohl zunächst naheliegen könnte, den Realismus seiner Arbeiten durch Farbgebung noch zu erhöhen. Holz und Farben liegen nicht so weit auseinander wie Bronze und Farben. Aber es wäre ein totales Missverständnis der künstlerischen Intentionen W. Kohls, sollte der Realismus zu einer mimetischen Nachbildung gesteigert werden. W. Kohl will die eindeutige Erkennbarkeit, aber er will auch die Chance nutzen, die eine Übersetzung des Alltäglichen in ein fremdes Material gewährt. Der Betrachter schaut genauer hin, viele bewundern die handwerkliche Fertigkeit, die der Künstler durchaus nicht leugnet, viele erkennen, daß das Banale eine andere und höhere Wertigkeit bekommen hat, wenn es nicht als industrielle Produktion oder als Produkt der Industriegesellschaft – die Menschen – vor Augen tritt, sondern von Hand aus Holz gehauen, geschnitten, und poliert. Erst diese andere Qualität der alltäglichen Dinge, der menschlichen Szenen und Situationen, führt zu einer emotionalen und intellektuellen Auseinandersetzung mit den Inhalten. Wir wollen diese leisten, aber zunächst in Kürze die beiden Etappen skizzieren, die W. Kohl zurückgelegt hat, soweit das ausgestellte Oeuvre diese kennzeichnet. Am Anfang waren es die Dinge, die jeder vor Augen hat. Sie werden in das Material Holz nun tatsächlich mimetisch – aber ohne Farbigkeit – übertragen. Diese Dinge sind Sofa und Läufer, Papierkorb und Straßengully, um nur die bekanntesten zu nennen. Kohl hat sie in einem mühseligen, wenigstens langwierigen handwerklichen Prozeß geschaffen, den er als eine bewusste Leistung des Individuums gegenüber der industriellen Massenanfertigung sieht. Nach eigenen Worten ist der Widerspruch wichtig, der aus der Gegenüberstellung handgearbeitetes Holz-Kunstwerk und industriell gefertigtes Massenkonsumstück resultiert! Verbrauch gegen Dauer, Praktikabilität gegen sperrigen Widerstand, Gemütlichkeit gegen Härte, Bequemlichkeit gegen Provokation. Diese Konfrontation ist dann auch schon eine geistige Auseinandersetzung. Hier wird das Übertragen des Banalen in ein anderes Medium zur Herausforderung, die gesamte Situation der Industrieabhängigkeit des „modernen“ Menschen zu überdenken. Denken ist die Voraussetzung zu neuer Akzeptanz oder zur Ablehnung und Besinnung. Mit Recht hat W. Kohl darauf hingewiesen, daß wir heute die Methode Marcel Duchamps, einfach einen alltäglichen Gegenstand zum Kunstwerk zu erklären, nicht nachahmen können; diese Methode ist ausgelaugt. Mit Hilfe der Transposition in ein anderes Medium, z.B. in Holz, ist die Wirkung aber wiederholbar. Und Kohl meint, dass dies ein notwendiger Akt ist, um die Problematik gegenwärtiger bürgerlich-industrieller Gesellschaft – mit ihrem ständigen Plus an Müll, Schrott, Überschuß und Überfluß – erkennbar machen zu können. Erkennen, das ist für W. Kohl die Voraus-setzung für jede subjektive Einstellung, für Veränderungen, die auch durchdacht sind. Nur ganz allmählich hat sich der Künstler an die humane Figuration herangearbeitet. Wahrscheinlich ist ein Objekt wie der Sessel als eine Annäherung zu verstehen, weil seine weichen, in Holz so harten Formen enger auf den Menschen bezogen werden können als Papierkorb und Gully. Man erwartet eine sitzende Figur – der Sessel bleibt leer. Unabhängig von Kohls individuellen Bedenken an die menschliche Figur heranzugehen, stellen sich bei diesem Thema zwei Bedenken ein –einmal die Tradition Barlachs, der eigentlich das Holz schon optimal für die Expressivität der Humanfiguration genutzt hat – und zum anderen die Herrgottschnitzer, die einer alten Überlieferung folgend ganz spekulativ und kommerziell, und in der Religiosität auch zweifelhaft, die Holzskulptur besetzt halten. Es besteht nun überhaupt kein Zweifel, daß ein moderner Künstler mit diesen Handwerkern – auch wenn er das Handwerk schätzt – nichts zu tun haben will; es ist dabei ja auch nicht damit getan, das Format zu ändern und das Religiöse zu meiden. Eine Kleinfigur mit politischem Inhalt hat immer die Assoziation des Schnitzers vom Silberwald. Doch da stellt sich auch eine andere Erinnerung ein. Viele von Ihnen haben gewiss schon politische Volkskunst gesehen, die auch in Holz realisiert wird ( immer häufiger wird sie heute auch fabrikmäßig betrieben ), aber ursprünglich war sie von urtüm-licher Kraft und großem Einfallsreichtum und pointierter Wichtigkeit. Sie ist das positive Gegenüber zu den Herrgottschnitzern und in Proportion, Figurendarstellung und Ausdruckskraft durchaus beispielhaft. Tatsächlich hat das figurative Werk W. Kohls großen Abstand zu beiden Überliefe-rungen. Doch schaut man dem „Alten Mann“ ins Gesicht – „Das kann doch nicht alles gewesen sein“ – so entsteht doch eine wesensmäßige Korrespondenz – keine Abhängigkeit, keine Beziehung, nur eine optische Korrespondenz zu den Figuren „Christus im Elend“, die in Polen in Holz geschnitten sind. Das Gesicht des Alten Mannes zeigt in leuchtenden Augen eine doch expressive Zuspitzung, die über den Realismusbereich hinausgeht. Bei der Analyse deutlich, wie stark Holz distanziert, von der Realität entfremdet! Es absorbiert Unterschiede – Haar, Hals, Kragen, es bringt die eigene Härte und Kantigkeit ins Spiel, mehr noch, die Maserung unterstreicht Formen und aktiviert sie somit. Beim „Gewichtheber“, 1979, der dem „Alten Mann“ nur knappe zwei Jahre voraus-gegangen ist, tritt die vereinheitlichende Eigenheit des Holzes noch stärker hervor und trifft sich mit der damals noch stärker nach Abstraktion strebenden Intention des Künstlers. Es werden eben nicht die Muskelspiele und –pakete gezeigt, die diesen Muskelprotzen eigen sind, sondern eine gleichmäßig abstrahierte Körpermasse, die sogar einen Zug asiatischer Gelassenheit gewinnt. Gerade die diesem Sport typische Symmetrie erinnert formal auch an eine Buddha-Figuration. Erst die auch farblich abgesetzten Fremdmaterialien führen die Typisierung in Richtung Gewichtheben fort. Die Arbeiten von Wolfgang Kohl haben bis zu diesem Zeitpunkt eine eigentümliche Dialektik. Sie zeigen Alltägliches, aber als Holzbildhauer-Werk sind sie ungewöhnlich. Sie sind kritisch, aber diese Kritik wird erst deutlich, wenn sich der Betrachter der eigenwilligen Spannungen, Motiv – Material und Wirklichkeit – Abstraktion, bewußt wird. W. Kohl hat dies als einen Neuweg erkannt und in den Werken nach 1980, also auch schon im „Alten Mann“, der nach dem Lebenssinn fragt, einen verkürzten und direkten Weg eingeschlagen. Nun rücken die Themen der Gewalt in den Vordergrund – der gefesselte Demonstrant, Sicherheitsmann und abgeschleppter Demonstrant, der Gefangene hinter Gittern.
Beim liegenden, gefesselten Demonstranten wird eine andere Darstellungsweise als bei den vorausgegangenen genannten Figurationen erkennbar. Der Künstler läßt die Schnitte stehen, die Oberfläche bleibt rau, kantig, reliefhaft; Sie zeigt sich verletzter und widerborstiger als zuvor. Spätestens hier wird deutlich, daß wir bisher mit dem Begriff Holz viel zu pauschal umgegangen sind! Linden-, Birnen- und Eichenholz sind in der Härte und in der Farbigkeit deutlich zu unterscheiden. Es ist verständlich, daß das Birnenholz eine geglättete und polierte Oberfläche bekommt; es ist ebenso natürlich, daß das harte Eichenholz in seiner Widerstandskraft sichtbar gemacht wird. Zudem paßt die raue, geschnittene oder geschlagene Oberfläche zum Thema. Die Gewalt gegen Menschen, die Gleichgültigkeit – vor allem Aber die Entwürdigung, die gegenüber gefangenen Menschen vorgenommen wird, empört W. Kohl, und aus dem Zorn heraus schafft er Kühle, realistische Figuren mit unterschiedlicher Materialität, wobei er den Naturalismus sogar bis zu richtigen Kleidern, richtigen Gittern steigern kann. Was uns beeindruckt am Werk von W. Kohl, ist nicht nur die Größe der Holzskulpturen, nicht nur ihre Kraft und ihre immer deutlicher hervortretende Wirklichkeit – es ist auch ihre Aussagekraft. In ihnen weist W. Kohl auf die Inhumanität gegenüber Schwächeren, auf die Entwürdigung der Gefangenen, auf den Verlust von Menschenwürde nicht nur im Einzelfall. Sein Standpunkt ist deutlich formuliert, er will betroffen machen und den Betrachter dazu bringen, seinen eigenen Standpunkt in Fragen der Gewalt, der Demonstrationsverfolgung, der Behandlung anderer Menschen zu durchdenken. Man muß Kohls Sehweise nicht teilen, aber er gibt uns einen Fingerzeig.
Jürgen Weichhardt, 1988